Sondierungen sind noch keine Koalitionsverhandlungen
Das Kabaretttheater im Hofgarten platzte aus allen Nähten. Mehrere hundert Gäste, Parteimitglieder und Vertreter aller gesellschaftlichen Institutionen und Organisationen waren der Einladung der Aschaffenburger SPD zum diesjährigen Neujahrsempfang gefolgt.
2018, ein Jahr gekennzeichnet durch bedeutsame Jubiläen, aber auch durch politische Weichenstellungen - das machten die Gastgeber, die Landtagsabgeordnete Martina Fehlner als Vorsitzende des Unterbezirks, Manuel Michniok als Vorsitzender des Stadtverbands, sowie Oberbürgermeister Klaus Herzog, in ihren Grußworten deutlich.
So boten die historischen Daten - 100 Jahre Ausrufung der ersten deutschen Republik durch den Sozialdemokraten Philipp Scheidemann, 100 Jahre Bayern, 100 Jahre Frauenwahlrecht - zahlreiche Anknüpfungspunkte, um auf die aktuellen Themen überzuleiten.
Unfähigkeit zu Kompromissen führt zu Politikverdrossenheit
Für Martina Fehlner die Gelegenheit, insbesondere die Defizite in Bayern hervorzuheben, die vor allem die soziale Situation der Menschen im Freistaat betreffen: Fehlender bezahlbarer Wohnraum, die unzureichende Versorgung im Bereich der Pflege, fehlende Kitaplätze und Kinder und Rentner, die von Armut bedroht seien, stellten der Landesregierung ein schlechtes Zeugnis aus. Diese vor allem ließe die bayerische Regierung im Stich. „Bayern braucht eine soziale Demokratie und Bayern, das ist nicht das Land nur einer Partei – Bayern, das sind wir alle“, so Martina Fehlner.
Von Bayern spannte sie in ihrem Grußwort dann den Bogen nach Berlin. Fünf Monate nach der Bundestagswahl werde es immer wichtiger, das Vertrauen der Menschen in die Politik zurückzugewinnen. Dogmatismus und die Unfähigkeit zu Kompromissen führe zu Politikverdrossenheit. Die Koalitionsverhandlungen begleite sie mit Optimismus, denn nicht nur das eigene Land, auch Europa brauche eine Regierung in Berlin, die den Kontinent weiterbringe.
Visionen finden - Herausforderungen annehmen
Mit viel Beifall begrüßt wurde die Landesvorsitzende der BayernSPD und stellvertretende Bundesvorsitzende Natascha Kohnen. Nicht immer helfe der Blick zurück, vielmehr ginge es darum, Visionen zu finden und Herausforderungen anzunehmen, so ihr Einstieg in die derzeitige politische Lage. Entsprechend standen die Landtagswahl und vor allem die laufenden Koalitionsverhandlungen im Mittelpunkt ihrer Rede. Insbesondere machte sie deutlich, dass die Sondierungen mit der CDU/CSU dazu dienten, Gemeinsamkeiten der Parteien herauszuarbeiten und Ziele festzulegen, wo eine Große Koalition hinwolle. Das sei die Basis für die Koalitionsverhandlungen.
Vieles noch nicht geregelt
In diesen ginge es nun darum, konkrete Maßnahmen zu benennen und die Themen zu vertiefen, bei denen die Parteien inhaltlich noch auseinanderliegen. „Vieles ist in dem Sondierungspapier noch nicht definitiv geregelt“, so Natascha Kohnen, u.a. mit Blick auf den Wohnungsbau. Die Zahl von 26 Seiten beim Sondierungspapier gegenüber etwa 160 Seiten von Koalitionsvereinbarungen machten deutlich, wieviel Diskussionsbedarf und detaillierte Abstimmungen noch vor den Verhandlungspartnern lägen.
Kein Auseinanderdriften der Gesellschaft
So gehe es nach wie vor um die Themen, die für die SPD im Vordergrund stehen, um den Menschen in Deutschland konkret zu helfen und die dazu beitragen, dass die Gesellschaft nicht weiter auseinanderdriftet. Neben der Krankenversorgung zähle dazu u.a. die Frage der befristeten Arbeitsverhältnisse, die den Kindern und Jugendlichen keine Perspektiven in ihrer Lebensplanung eröffneten. Mit Bezug auf den Familiennachzug von Flüchtlingen im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention richtete Natascha Kohnen die Frage an die CSU, ob der christliche Familienbegriff nur für Deutsche gelte. „Eine Integration ohne die Familie ist bedenklich. Darüber müssen wir reden.“
Vertrauen und Stil
Und schließlich ginge es auch in den Verhandlungen und im Zusammenspiel der Parteien in der Politik um Vertrauen und um den Stil, wie man miteinander umginge. Sachlichkeit statt Polemik, Miteinander statt Gegeneinander, da hätten die CSU-Verhandlungspartner noch erheblichen Lernbedarf. Natascha Kohnen appellierte an die Gäste, sich die Zeit zu nehmen und sich anhand der Papiere eine eigene Meinung zu bilden. „Es braucht nicht immer den einen großen Wurf, für die Menschen ist es mitunter wichtiger, die Dinge zu bekommen, die konkret ihr Leben betreffen.“
Unter viel Applaus dankte Martina Fehlner mit einem großen Blumenstrauß Natascha Kohnen für ihre sachkundigen und mitunter sehr persönlichen Ausführungen, und viele Gäste hielt es bei einem kleinen Imbiss und anregenden Gesprächen noch lange im Hofgarten.
Alle Fotos: Simon Dümig/Unterbezirk Aschaffenburg